Ein Bote aus dem Varenland

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Eigentlich war es ihre Absicht gewesen, einen Händler einzuholen, der ihnen angeboten hatte, sie nach Mythodea mitzunehmen. Doch nun, da Mijaléjin nicht mehr bei ihnen war, konnten die Gefährten nicht mehr bedenkenlos querfeldein marschieren, sondern waren auf Wege und Straßen angewiesen.

Dazu kam, dass es im Gegensatz zur unwägbaren Wildnis an Straßen in regelmäßigen Abständen gemütliche Tavernen gab, die offensichtlich einzig und allein darauf warteten, die Gefährten für die Mühen ihrer beschwerlichen Reise angemessen zu entschädigen. Und angemessen bedeutete nicht selten, dass sie mit einer ordentlichen Vorinsrache am Weiterreisen gehindert wurden – was den Vorsprung des Händlers weiter anwachsen ließ.

So vergingen die Tage mit Reisen und Feiern. Und auch an diesem Abend hatten es sich die Gefährten in einer Taverne gemütlich gemacht. Sie saßen an einem großen Eichentisch in einer Ecke des Schankraumes. Nachdem man gut gegessen hatte, holte Roderik die Laute hervor und begann sie zu stimmen. Uldvey ging zum Wirt hinüber.

„Sagt, ist hier vor einiger Zeit ein Händler durchgekommen?“ fragte er und fügte noch erklärend hinzu: „...ein kleiner, dicker, der pausenlos redet ... und der nach Mythodea will...“

Der Wirt überlegte einen Moment. „Hm“, grunzte er und hievte erst einmal ein Bierfass in eine Wandnische.

Dann nickte er.

„Ja“, sagte er und wischte sich mit einem schmierigen Lappen, den er am Gürtel trug, Schweißperlen von der fettglänzenden Stirn. „So einer kam hier vorbei. Wollte aber kein Zimmer haben ... hat sich nur mit Vorräten eingedeckt und ist dann gleich weiter gezogen. Hat er Euch betrogen, Herr?“

Der Wirt grinste Uldvey belustigt an. „Ich dachte mir gleich, dass der was ausgefressen hat – so schnell wie der weiter wollte.“

Uldvey zog die Stirn in Falten und wehrte schnell ab. „Nein, nein. Wir wollten den Mann nach Mythodea begleiten. Aber wir können ihn nicht einholen .... Wie lang ist es denn schon her, dass er hier war?“

Der Wirt kniff die Augen zusammen und fuhr sich dabei nachdenklich über den Bart. „Muss schon vier Tage her sein. Kann aber auch mehr ...“

In diesem Moment flog krachend die Tavernentür auf, und ein Mann preschte in den Schankraum. Keuchend kam er mitten im Raum zum Stehen. Die Hände auf die Knie gestützt schaute er sich, nach Luft schnappend, in der Runde um. Alle Gespräche verstummten augenblicklich. Sämtliche Augenpaare richteten sich erwartungsvoll auf den Neuankömmling. Seine Worte kamen gepresst, eine gewisse Gereiztheit schwang darin mit – so als hätte er seine Frage in letzter Zeit schon häufiger stellen müssen.

„Ist hier ein Meister Roderik anwesend?“ wollte er wissen. „Ich hoffe sehr, dass er’s ist, denn bei Vorin, ich habe wirklich keine Lust mehr ...“

Der Barde hob schnell seinen Arm und gebot dem Fluchen des Mannes Einhalt. „Wenn Ihr einen Roderik sucht, hier ist einer!“

Er winkte den Mann an ihren Tisch. Auch Uldvey trat hinzu.

Roderik schob dem Mann einen Krug entgegen. „Setzt Euch an unseren Tisch und nehmt erst einmal einen Schluck von Vorins Bestem! Ihr seht ja aus, als wäre der Tod persönlich hinter euch her.“

Und dann fügte er mit dem Gedanken an den Steinsberger Schnitter noch grinsend hinzu: „Wir haben den Tod erst kürzlich gesehen. Er schien jedoch eher gemächlich unterwegs zu sein. Insofern, fürchtet Euch nicht und trinkt endlich einen Schluck!“

Der Mann kam heran, setzte sich jedoch nicht, sondern griff nur nach dem Humpen. Nachdem er ihn in einem Zug geleert hatte, ließ er ihn krachend auf die Tischplatte knallen. Er hielt sich nicht damit auf, einen Dank vorzubringen oder sich mit Namen vorzustellen. „Ich bin ein Bote aus dem Varenland“, sagte er und rülpste geräuschvoll, was ihm ein anerkennendes „vorinsgefällig“ von Seiten der Gefährten einbrachte, worauf er jedoch keine Mine verzog. „Seit Wochen schon suche ich nach diesem ver...“ Der Mann räusperte sich. „... Roderik. Ich habe eine wichtige Botschaft für ihn.“

Sowohl Stimme als auch Mine des Boten ließen keinen Zweifel darüber, dass er für seine – als unglaublich beschwerlich – empfundenen Anstrengungen eine ordentliche Bezahlung erwartete. Also zog Roderik einen Beutel hervor und schob dem Mann einige Münzen zu. Der Bote ließ sie wortlos in einer Tasche verschwinden. Er verzog dabei keine Mine. Dann machte er eine Kopfbewegung, die andeutete, er wolle den Barden allein sprechen.

Als Roderik wenig später an den Tisch der Gefährten zurückkehrte, zeigte sein Gesicht einen ungewohnt ernsten Ausdruck.

„Ich muss euch sofort verlassen!“ sagte er und griff nach seinem Umhang. „Es ist eine persönliche Angelegenheit“, fügte er fahrig hinzu, während er seine Habseligkeiten zusammensuchte.

Uldvey hob an etwas zu sagen, aber Roderik winkte ab. „Nein, nein, ihr müsst mich nicht begleiten. Folgt ihr nur weiter dem Händler. Auch wenn ihr ihn nicht erreicht, findet ihr vielleicht wenigstens den richtigen Hafen nach Mythodea.“

Die Gefährten waren ob der abrupten Abreise völlig sprachlos.

Roderik eilte zur Tür. „Hinterlasst mir nur in jedem Wirtshaus eine Nachricht, auf dass ich euch leicht nachfolgen kann“, rief er, als er hinaus in die Nacht eilte.


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